Montag, 21. März 2011

Wir sind St.Pauli! Nur was sind wir? - Ein Bloggerprojekt

Auch wenn ich der Art "Blogger" im Aufruf nicht ganz entspreche weil meine Beiträge wohl nicht unter "regelmässig" fallen und ich nicht nur ausschliesslich über mein Leben mit St.Pauli schreibe: Der Aufruf von Norbert hat mich sofort angesprochen und ich nehme mir die Freiheit raus auch etwas beizutragen ;-)

Hier nochmal der Aufruf: http://www.magischerfc.de/wordpress/?p=5545

Die Frage was wir sind und vor allem wohin wir wollen beschäftigt mich als FCSR aktuell sowieso schon täglich und ich fühle eine gewisse Resignation in mir. Dass mag mit meiner "Doppelbelastung" zu tun haben, die mich in meiner Freizeit ziemlich einnimmt, da ich nicht nur bei Sankt Pauli aktiv in der Fanszene mitarbeite sondern dies auch in Bern bei meinem "Heimatverein" tue. Das ist sicher ein Teil. Der andere aber ist (und der hängt doch mit dem ersten zusammen, denn hier in Bern ist es ähnlich bis gleich) der tägliche Kampf gegen Windmühlen. Ganz egal was aus der Fanszene an den Verein herangetragen wird, ganz egal wie laut der Protest war und ist, es geht weiter wie vorher. Zwar wird einem hie und da ein Zückerchen vor die Füsse geworfen, aber dass war es dann auch. Und die Kraft und Enerige die ich Anfang des Jahres auch hier in diesem Blog noch so euphorisch beschreiben durfte ist längst verpufft. Einzelne Gruppen und Bereiche im Stadion tragen den Jolly Rouge zwar noch weiter und versuchen das berühmte Sandkorn im Getriebe zu sein.

Aber sind wir ehrlich: Die Sache ist gescheitert. Die Forderungen der Sozialromantiker auf die sich die ganze Jolly Rouge-Bewegung aufgebaut hatte sind in keiner Weise umgesetzt worden. Nach wie vor werden neue Werbemassnahmen umgesetzt ua. mit Firmen wie Flyer-Alarm die wesentliche Grundsätze wie faire Arbeitsbedingungen nicht erfüllen und sogar Aufträge der NPD entgegengenommen haben. Oder nehmen wir AirBerlin die nach wie vor Abschiebeflüge durchführen. In beiden Fällen hat man sich beim Verein mit einer beschwichtigenden Stellungnahme zufrieden gegeben...

Tiefpunkt ist für mich aber nach wie vor die "Susi-Loge" Dort wird nämlich und sogar für die Gegengerade gut sichtbar weitergetanzt. Zwar knappstens bekleidet aber dafür munter auch in der Halbzeitpause. Nicht mal die absolute Minimalforderung dies erst nach Schlusspfiff zu tun wird also eingehalten und der Verein scheint es so zu akzeptieren.

Und wisst ihr was mich daran besonders ankotzt? Die Sichtweise auf den FC Sankt Pauli beginnt sich zu ändern. Ich meine diese Loge hat es sogar in die Schweizer Medien geschafft. Kein Wunder also dass Leute die kaum oder nur wenig mit Fussball zu tun haben, mich noch heute zuerst mal auf diese Tanzeinlagen ansprechen und nicht mehr darauf was Sankt Pauli ausmacht. Mit dem Hohn und dem Spott von ua. Lokalrivalen-Sympathisanten kann ich eigentlich noch gut leben, aber dass sich der FC Sankt Pauli plötzlich bei vielen über so etwas definiert darf und kann nicht sein.
Der Verein ist drauf und dran sich der Nische zu berauben die ihn finanziell überhaupt so erfolgreich gemacht hat. Denn wo "not established" draufsteht aber eben leider "established" drin ist lässt sich irgendwann der Mythos nicht mehr aufrecht erhalten.

Lösungsansätze

Aber ich will nicht nur jammern und so weit resigniert habe ich dann doch nicht um nicht doch darüber nachzudenken wie der FC Sankt Pauli in Zukunft aussehen soll, respektive wie dies erreicht werden kann.
Ich für meinen Teil will den FC Sankt Pauli so erhalten wie ich ihn kennen und lieben gelernt habe. Selbstverständlich nicht rückwärtsgewandt und konservativ. Für neue Ideen und von denen gibt es zum Glück in der Fanszene des FC Sankt Pauli so viele wie sonst nirgends, sollte immer Platz sein. Aber es gibt Dinge die sind nicht verhandelbar. Ich will weiterhin eine Fanszene die sich einmischt, den Verein prägt und den Verein repräsentiert. Ich will eine Fanszene die den Konsens des Antifaschismus und die Distanzierung von jeglicher Art von Diskriminierung und Sexismus lebt. Ich will einen Verein der diesen Grundsatz mitträgt und zwar ohne Wenn und Aber. Ich will einen Verein der sich wieder darauf besinnt dass es nicht getan ist damit sich "non established" auf die Fahne zu schreiben, sondern dies auch lebt. Ich denke dass die Fanszene ihren Teil dazu immer noch erbringt. Erwähnt seien hier der Aktionstag zum Spiel gegen Stuttgart oder die längerfristigen Aktionen gegen Schwarzmarkthändler. Der Verein allerdings muss dringend über die Bücher. Es braucht Leute an der Spitze des Vereins die den Stadtteil, den Verein und seine Ideale leben. Das tut die Führung derzeit offensichtlich nicht. Ich für meinen Teil sehe zwei Möglichkeiten dem etwas zu entgegnen.

1. Absteigen.
Ich weiss dass ich definitiv nicht der Einzige bin der dies im Moment als einen der Auswege aus dieser Kommerzialisierungsspirale sehe. Ich weiss aber genau so dass sie eigentlich dem Wesen Fussball diamentral widerspricht. Logisch will ich als Fussball-Fan auch dass mein Verein so erfolgreich ist wie möglich. Aber nicht um jeden Preis. Und für mich ist der Preis den wir gerade dafür zahlen in der 1.Bundesliga zu spielen einfach zu hoch.

2.Neue Führung
Ein heikler Punkt. Umso mehr als dass das neue Präsidium eigentlich mit guten Vorzeichen gestartet ist. Aber ich sehe die oben genannten Punkte nicht mehr vertreten, sei es im Präsidium oder auch in der Vermarktung. Die Frage bleibt wer es denn besser machen würde. Ich weiss es nicht auch weil ich Leute die solche Posten übernehmen würden schlicht nicht kenne da ich halt in der Schweiz lebe. Aber ich weiss dass es im Umfeld des Vereins durchaus Leute geben würde die diese Werte leben und auch fähig wären den Verein in dem Sinne zu führen. Ich weiss dass es einfach ist Forderungen zu stellen und dann keine Lösungen parat zu haben. Trotzdem kann ich die Eindrücke welche ich in den letzten Monaten gewonnen habe nicht einfach unter den Teppich kehren. Ich will ein Präsidium und eine Vermarktung die dem "anders sein" Rechnung trägt, neue Wege geht und nicht einfach jeden Scheiss kopiert den man auf Schalke oder in Hoffenheim ertragen muss. Im Moment sind wir ja zum Glück immer noch ein gutes Stück von sowas entfernt aber anderes wie Susis-Loge hat die bei weitem in den Schatten gestellt.

Die Fanszene

Ich gebe es zu: Ich bin ein Fussball-Hippie. Ich bin auch bei St.Pauli gelandet weil ich bei meinen ersten Besuchen am Millerntor immer einen entspannten Umgang mit den Gästefans erlebt habe. Das hat doch etwas gelitten in letzter Zeit. Natürlich liegt das auch an den Gästefans die Toleranz und Gastfreundlichkeit leider heutzutage zu oft mit einem Freipass verwechseln und sich derart daneben aufführen wie sie es zu Hause niemals könnten. Dass man da auch mal laut werden kann verstehe ich voll und ganz. Und natürlich hat das auch damit zu tun, dass gerade in der ersten Saisonhälfte schon fast der Eindruck enstehen konnte dass sich alle anderen Fanszenen der 1.Bundesliga in einem Wettstreit befinden wer als erstes das Jolly Roger erstürmen kann. Spätestens dann bin ich auch kein Hippie mehr und ich sehe es als absolut legitim an seine Läden und Einrichtungen auch mit Gewalt zu schützen, das steht ausser Frage. Trotzdem wünschte ich mir in dieser Hinsicht einen etwas entspannteren Umgang. Wenn einer auf der Süd einen Sitzplatz ergattert hat und mit Schal dort aufkreuzt ist das noch lange kein Grund ihm deswegen einen körperlichen Verweis anzudrohen.
Der Hippie verlässt mich aber ebenfalls wenn es Leute in den "eigenen Reihen" für nötig halten Frauen zu begrabschen oder Schimpfwörter wie "Fotze" "Schwuchtel" oder ähnliches als normalen Slang betrachten. Solche Leute haben an meinem Millerntor nach wie vor nichts zu suchen und das kriegen sie auch deutlich zu hören wenn es sein muss. Und ja ich wünschte mir bei vielen Sympathisanten eine ernsthaftere Auseinadersetzung mit der Sache Sankt Pauli als bloss Paaady und saufen. Nach Niederlagen bin ich jeweils froh um die vielen Leute die ich kenne und von denen ich weiss dass sie auch so fühlen wie ich. All die grölenden Paady-Leute gehen mir dann jeweils gehörig auf den Sack.

Ich will eine Fanszene die sich weiterhin politisch positioniert, die klar macht wo wir stehen und welche Ideale wir hochhalten. Ich will eine Fanszene die aber auch in sich etwas mehr Toleranz gegenüber anderen walten lässt und nicht gleich bei jedem kleinen Pups alles Scheisse zu finden. (Klar war jetzt überspitzt formuliert, gerade das Forum zeichnet hier auch ein völlig überdrehtes Bild, in Wirklichkeit sieht es schon etwas anders aus...) Ich will deshalb aber auch eine Fanszene die sich weiterhin immer wieder hinterfragt und auch mal einen eingeschlagenen Weg ändert.

Abschliessend bleibt zu sagen: Auch wenn sich der Verein nicht in die von mir gewünschte Richtung entwickeln sollte: Etwas äusserst wichtiges was ich durch Sankt Pauli gewonnen habe werde ich bestimmt nicht mehr verlieren: All die Kontakte und Freundschaften zu so vielen lieben Menschen die ich dank dem FC Sankt Pauli gewonnen habe werden mich ganz sicher weiter begleiten.

Mittwoch, 16. März 2011

Polizeigewalt bleibt ungestraft

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Pressemitteilung Ballkult vom 15.03.

Polizeigewalt bleibt in Hamburg unbestraft

In den letzten Tagen haben vielen Menschen, die nach dem Überfall der BFE Eutin auf das Jolly Roger nach dem Schanzenfest 2009 Anzeige erstattet haben, Post von der Staatsanwaltschaft bekommen, dass eine Anklage gegen Polizeibeamte nicht erhoben wird.

Als Begründung wurde angeführt, dass das polizeiliche Vorgehen rechtmäßig war, um Straftaten zu verhindern.

Es wäre übertrieben zu sagen, dass uns diese Entscheidung überrascht, passt sie doch in die Strategie von Polizei und Justiz, die Opfer zu Tätern zu machen. (In diesem Zusammenhang verweisen wir auch auf die Vorkommnisse nach dem ausgefallenen Derby, als die Polizei nichts gegen die Angriffe von hsv-Fans auf das Jolly Roger unternahm, dann aber umso entschiedener gegen Menschen vorging, die sich vor dem Jolly Roger zum Schutz des Ladens versammelt hatten.)

Interessant ist aber, dass Menschen, die Anzeigen stellen möchten, zukünftig eine umfassende Würdigung der Gesamtsituation vornehmen müssen und nicht einfach eine gegen sie begangene Straftat anzeigen dürfen, in dem Vertrauen, dass die Justiz dann unvoreingenommen ermittelt. Oder wie dürfen wir verstehen, dass „der Mandat unglaubhaft ist, da er die polizeifeindlichen Aktionen vollständig ausblendet“ (sinngemäßes Zitat).

Auch folgende Anmerkung überrascht uns sehr:

„Nach etwa 30 Sekunden verließen die Beamten der BFE wieder das Lokal, um sich nicht weiter der durch das Pfefferspray mittlerweile erheblich beeinträchtigen Raumluft auszusetzen und den sich innerhalb der Räumlichkeiten aufhaltenden Personen die Gelegenheit zu geben, ihrerseits die Lokalität zu verlassen.“

Es überrascht nicht so sehr die Tatsache, dass die BFE-Beamten es in der von ihnen verursachten Pfefferspray-Wolke nicht länger aushielten – eher die Behauptung, dass auch den Gästen die Gelegenheit gegeben werden sollte, wieder etwas Sauerstoff zu atmen. Vorhandene Videos belegen ziemlich deutlich, dass entsprechende Versuche der Gäste mit massivem Wasserwerferbeschuss auf die Eingangstür beantwortet wurden.

Über das weitere Vorgehen beraten die Betroffenen nun mit ihren Anwälten. Es ist aber erschreckend, dass wieder einmal alle Statistiken bestätigt werden, die belegen, dass Gewalt durch Polizeibeamte straffrei bleibt. Wir würden uns wünschen, dass die Justiz mit dem selben Eifer gegen Polizeibeamte ermittelt, den sie an den Tag legt, wenn es um Menschen geht, die Fußwege mit Kreide bemalen (siehe Oz-Prozess).

Uns bleibt nur, unsere Hoffnung in die neue Regierung zu setzen. Gegen den Korpsgeist der Polizei wird sie nicht viel ausrichten können, aber vielleicht unternimmt sie endlich ernsthafte Schritte, um die Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten einzuführen (die in Berlin problemlos funktioniert) und wieder eine unabhängige (!) Kommission einzurichten, die Vorwürfe gegen Polizeibeamte prüft.

Ballkult eV, 15.03.2011