Als ich Samstag morgen im Flieger sass und in Richtung Hamburg abhob war es plötzlich wieder da. Dieses ganz spezielle kribbeln dass wohl jeder kennt der sich intensiver mit Fussball beschäftigt. Es schien fast als hätte ich eine unterbewusste Vorahnung gehabt was ein paar Stunden später im Millerntor passieren würde. Aber vielleicht war es auch einfach nur die Vorfreude endlich wieder in Hamburg zu sein und all die lieben Menschen die meine Leidenschaft teilen wiederzusehen. Wer meinen letzten Blogeintrag noch präsent hat wird dort einiges an Frust herausgelesen haben. Der war zum Glück über die kurze Winterpause etwas verflogen und ich weiss wieder warum ich das immer noch so regelmässig tue.
Alle Leute die ich vor dem Spiel traf waren angespannt und die meisten weil es nicht abschätzbar war wie viele wir sein werden, wie viele den Jolly Rouge-Protest mittragen würden. Stunden vor dem Spiel wurde schnell klar dass es einige sein werden. Überall waren Leute mit roten Fahnen, Mützen, Pullis, Shirts und was auch immer unterwegs. Überall wurden Flyer verteilt, Kleber, Buttons. Es war schon jetzt beeindruckend. Sogar vor Kneipennamen machte der Protest nicht halt: Das Jolly Roger hatte seinen Namen in Jolly Rouge geändert.
Was dann im Stadion abging war schlicht und einfach unbeschreiblich. Süd, Nord, Gegengerade, ja sogar rechts und links der Business-Seats auf der Haupt, Rot und der schwarze Jolly Roger. Ein Meer in Rot von Fahnen, Transparenten, Mützen, Kartons, Blättern. Eindrücklicher als mit diesen Bildern kann man nicht beschreiben was dieser Verein immer noch ausmacht. Trotz allen Versuchen von Seiten des Vereins den Protest zu marginalisieren und als ein Schnellschuss von ein paar "Spinnern" abzutun, war es die am breitesten abgestützte Fanaktion seit dem Millerntaler-Protest, wenn nicht sogar grösser. In dem Moment wusste ich trotz all den Kämpfen, Missverständnissen und Unterschiedlichsten Meinungen in dieser Fanszene, warum der FC Sankt Pauli ein so wichtiger Teil meines Lebens geworden und auch weiterhin ist und sein wird. Diese Kreativität, diese Energie und dieser Wille den FC Sankt Pauli als einen etwas anderen Verein weiterleben zu lassen, mit allen Konsequenzen die dafür zu tragen sind, ist schlicht einmalig. Die Botschaft der Sozialromantiker wurde verstanden. Nicht als Verweigerung gegenüber jeglichen Mechanismen des heutigen Spitzenfussballs, aber als Zeichen dass es nicht um jeden Preis sein muss, dass es Grenzen gibt die man beim FC Sankt Pauli nicht überschreitet und heisst dies auch dass man deshalb wohl kaum einmal irgendwas gewinnen wird. Es bleibt zu hoffen dass die Botschaft auch bei denen angekommen ist an die sie adressiert war.
Und die Eigendynamik die der ganze Protest angenommen hat, mit allen Facetten die auch den Stadtteil und seine Bewohner betreffen finde ich Phänomenal. Da wurden Brücken geschlagen zu ebenso aktuellen wie zusammenhängenden Gesellschaftsproblemen. Und genau das macht diesen Verein ebenso aus. Seine Verbundenheit zum Viertel, das Selbstverständnis dass der Verein das Viertel braucht und das Viertel den Verein braucht. Das Selbstverständnis dass die Alltagsprobleme zwar im Stadion verarbeitet werden können, aber niemals vergessen werden und wenn nötig auch direkt da angesprochen werden.
Und ich möchte es auch nicht unterlassen, auch jene zu erwähnen die den Protest inhaltlich zwar grundsätzlich teilen, es aber im Moment für die falsche Option hielten und deshalb nicht mittrugen. Ich hatte im Nachgang zur Demo eine sehr spannende und bereichernde Diskussion mit einem alten St.Pauli-Fan und auch wenn wir beide wohl eine ziemlich andere Vorstellung unseres Fanlebens haben und dies auch komplett anders leben: Der gegenseitige Respekt war immer spürbar und das ist es doch letztlich auch was zählt. Wir können anderer Meinung sein, können auch mal hart und laut diskutieren, aber der Respekt sollte immer da sein. Und diese Haltung spüre ich durchaus noch in unserer Fanszene und das ist nach all den Geschehnissen wie Rostock und jetzt diesem immer weitergehenden Kommerzwahnsinn doch eigentlich ein gutes Zeichen.
Es gilt jetzt aber den Protest nicht versiegen zu lassen, es war ein sehr starkes Zeichen und das Präsidium kann jetzt nicht mehr damit kommen dass es nur ein paar Internet-Spinner sind. Aber wir dürfen uns keinesfalls damit zufrieden geben und den Protest weitertragen. Ich bin heute zuversichtlicher den je das dies gelingen wird.
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